ERWARTUNGEN
AN KUNST

Rede der Kuratorin Heike Stockhaus zur Eröffnung der Ausstellung Criminal Crops & PerspektivRegion

Kiel, 27.01.2023


  • Heike während der Rede am Pult
  • audience
  • The artist making his opening speech
  • Publikum während der Ausstellungseröffnung

Über unsere Erwartungen an die Kunst können wir im Anschluss der Eröffnung trefflich diskutieren. Hier ein paar Gedanken von mir.

Was haben wir überhaupt zu erwarten? Was haben wir zu erwarten von einem Leben in dieser Zeit, die von solchem Notstand gekennzeichnet ist? Vor vier Jahren hätten wir Covid noch für einen Sciencefiction gehalten. Jetzt leben wir mit diesem virologischen Wahnsinn, den ökonomischen, gesellschaftlichen und psychologischen Auswirkungen. Damit nicht genug. Wir leben plötzlich im Krieg, einem Krieg mitten in Europa, der das Potenzial beinhaltet, auch ein Krieg für uns selbst werden zu können. Aus heiterem Himmel müssen wir uns plötzlich zwischen Pazifismus und Militarisierung entscheiden. Aber unausweichlich und an erster Stelle steht die Not um diesen Planeten. Die Dystopien von gestern und das Aufbegehren der LETZTEN GENERATION sind bitterer Ernst.

Unsere Spaßgesellschaft ist am Ende!

Seit der Veröffentlichung des Berichts vom Club of Rome 1972über „Die Grenzen des Wachstums“ hätten wir Menschen umdenken können. Trotzdem ist alles zu viel geworden und über Jahrzehnte außer Kontrolle geraten! In diesen 50 Jahren sind wir dem Abgrund erschreckend nahegekommen.

Übertreibe ich, wenn ich sage, wir leben in einer Zeit von Angst und Ohnmacht? Kann Kunst da eingreifen, Impulse setzen, Denkansätze initiieren?

Ich denke JA und unbedingt! Criminal Crops ist so ein Kunstprojekt, das viel gewagt hat und viel hätte verlieren können. Es gab zahlreiche Unbekannte in diesem Projekt, neben Wetter-, Boden- und Schädlingseinflüssen auch die vielen menschlichen Akteur*innen, auf die es angewiesen war. David Hahlbrock ist dieses Risiko bewusst eingegangen. Ungewissheit und Risiko, unkalkulierbare Faktoren waren Teil des künstlerischen Konzeptes. Allen Helfer*innen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken!

Neun kreisrunde Maisfelder mit nicht registriertem (also sozusagen illegalem) Mais wuchsen zwischen Kiel und Odense in Dänemark und Deutschland. Criminal Crops begleitete ein Jahr lang das dänisch-deutschen Projekt PERSPEKTIVREGION der Heinrich-Böll-Stiftung. PERSPEKTIVREGION hat in Zusammenarbeit mit der Lögumkloster Hojskole, den historischen Seminaren der CAU und der SDU ein Erinnerungsparlament veranstaltet und die Geschichte unserer Grenzregion neu ins öffentliche Blickfeld gerückt. In beratender Zusammenarbeit mit dem Norbert-Elias-Institut an der Europa Universität Flensburg hat PERSPEKTIVREGION in Lögumkloster und Odense ein Zukunftsparlament organisiert, um die gemeinsamen Aufgaben für eine lebenswerte Grenzregion zu definieren. Aber natürlich sind diese Reflexionen und Ideen nicht nur für diese spezifische Region bedeutsam.


  • Exhibition Room PerspektivRegion overall view
  • 2 quotes on a wall
  • Exhibition PerspektivRegion, yellow chair
  • Exhibition room PerspektivRegion
  • Beyond borders info sheets on the wall

Grenzgebiete sind wie Brenngläser. Sie sind besonders empfindliche Regionen, in denen die globalen Krisen sich intensiv auswirken. Zugleich aber beinhalten sie durch das Aufeinanderprallen zweier Nationen, Sprachen und Kulturen ein besonderes Sensorium, um ungewöhnliche Chancen zu ergreifen und Lösungen zu suchen. Durch ihre Geschichte waren sie immer fragile Regionen und das birgt Potenzial für die Zukunft. Natürlich ebenso Gefahren, keine Grenze ist sicher für die Ewigkeit.

In diese Brennglas-Zone, die, unter uns gesagt, zuweilen auch sehr hygge und verschlafen daherkommt, hat David Hahlbrock seine „kriminellen Maisfelder“ eingepflanzt. Mais, Bohnen und gelegentlich auch Kürbis verwiesen auf das symbiotische Prinzip der Natur, was wir mit der industriellen Landwirtschaft geflissentlich verdrängt haben. Der Clou, dass Kunst auf ihre Weise nicht registriertes, also illegales Saatgut, legalisieren und in Umlauf bringen kann, hat viele überrascht.

Aber wie ein gutes Gemälde hat auch dieses Kunstprojekt tiefe Schichten, die weit über den landwirtschaftspolitischen und ökologischen Kontext hinauswirken. Die kriminellen Körner weisen zurück auf die Geschichte der Kapitalisierung unserer Welt, fokussieren die Prozesse der Entfremdung und Ausbeutung nicht nur von Mensch und Natur, sondern auch von Mensch zu Mensch. Vom Kolonialismus bis zur Globalisierung rücken sie die absurde Entwicklung wirtschaftlicher Machtstrukturen ins Blickfeld und beklagen den Verlust der Symbiose als Grundprinzip der Natur und Kultur. Symbiose meint das Zusammenleben von Lebewesen verschiedener Art zu gegenseitigem Nutzen! Die Bohne findet ihren Halt an der stabilen Maispflanze und düngt sie mit Stickstoff. Der Kürbis legt seine Blätter über den Boden, sorgt für Schatten und speichert die Feuchtigkeit. Welche Symbolik, auch und gerade für eine Grenzregion in Europa!


  • Sockel mit buten Mais
  • Corn Mandala
  • Illustration by David Hahlbrock
  • cor
  • Exhibition Criminal Crops, Corsn and Illustration
  • Exhibition Room Criminal Crops

Criminal Crops ist weder eine biologische, noch eine soziologische Versuchsanordnung. Es ist ein Kunstwerk! Um zurückzukommen auf die Eingangsfrage: Kunst besteht immer aus einem Wagnis. Kunst ist immer ein Prozess, der sich in unsere Wahrnehmung gräbt. In diesem Prozess geschieht aber nichts absichtslos. Alles von Criminal Crops lag und liegt in der Absicht von David Hahlbrock. Wir können darüber diskutieren, wir können staunen oder uns abwenden. Aber wenn wir uns auf das Kunstwerk einlassen, setzt dieser enorme Rückkopplungseffekt ein: Das Kunstwerk berührt unsere Gedanken, beflügelt unsere Fantasie und stärkt unsere Empathie!

Also, nehmt bitte die legalisierten Maiskörner mit und pflanzt sie aus! Verschenkt sie weiter oder bewahrt sie wie einen Schatz!

So viel zum Schluss: Es gibt Kunstwerke, die tatsächlich nicht käuflich sind!

Herzlichen Dank!


Portrait Heike Stockhaus

Heike Stockhaus

Die jüngsten Konflikte mitten in Europa zeigen uns, wie wichtig es ist, dass wir als Bürger*innen die Geschichte unserer Länder kennen und differenziert betrachten können. Die Strukturen von heute sind ja nicht vom Himmel gefallen und immer ging und geht es bei allem um geostrategische Interessen, die nicht unbedingt mit unseren identisch sind. Wenn wir aus der Geschichte für die Zukunft lernen wollen, müssen wir die grundlegenden Mechanismen der Modernisierung unserer Welt, Begriffe wie Expansion und Wachstum, kritisch hinterfragen. Ich bin gespannt, zu welchen Ideen unsere grenzüberschreitende Arbeit führt…